Carl Straßburger (1899-1953) – vom boykottierten „Juden-Zirkus“ zum holländischen Erfolgsunternehmen

Carl Straßburger stammte aus einer deutsch-jüdischen Familie, deren Pferdezirkustradition bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichte. 1926 übernahm er von seinem Vater Adolf und seinem Onkel Leopold die Leitung des Unternehmens, das mittlerweile in die Liga der deutschen Großzirkusse aufgestiegen war. Die Übergabe an Carl als Direktor sowie seine Geschwister und Cousinen als Miteigentümer wurde jedoch nur familienintern und nicht notariell geregelt, was nach 1933 gravierende Folgen haben sollte. Den Nationalsozialisten galt Carl Straßburger vorläufig als „jüdischer Mischling zweiten Grades“, da seine Mutter Wilhelmine (geb. Kossmeyer) und wahrscheinlich auch seine Großmutter väterlicherseits katholisch waren. Allerdings waren Adolf und Leopold immer noch die offiziellen Eigentümer des Zirkus und galten (mindestens) als „jüdische Mischlinge ersten Grades

Zirkus Straßburger mit orientalischer Prunkfassade, Erfurt 1935 (Zirkusarchiv Winkler, Berlin)

Erste Angriffe gegen den „Juden-Zirkus“ erfolgten im Zuge des Judenboykotts vom 1. April 1933. Carl Straßburger und sein Geschäftsführer Emil Wacker versuchten daraufhin alles, um sich mit dem neuen System zu arrangieren. Wacker wurde NSDAP-Mitglied, gründete eine Nationalsozialistische Betriebszelle und erreichte im Oktober 1934 die Ausstellung eines Schutzbriefes durch den Stab des Stellvertreters des Führers. Dennoch kam es bei Gastspielen immer wieder zu lokalen Boykottaufrufen, Reklameverboten und anderen Schikanen. Um den drohenden Konkurs und eine mögliche Enteignung abzuwenden, verkauften die Straßburgers im August 1935 ihren gesamten Zirkus für 200.000 Reichsmark an Emil Wacker (!) und Paula Busch. Letztere konnte hierdurch den Verlust ihres zum Abriss freigegebenen Berliner Zirkusgebäudes kompensieren. Die deutsche Presse berichtete mit Genugtuung, der Zirkus befinde sich „nunmehr in rein arischen Händen“.

Die ehemalige Straßburger-Zeltanlage unter dem Namen „Circus Busch“, Erfurt 1938 (Zirkusarchiv Winkler, Berlin)

Carl Straßburger ging mit einem Teil seines Personals nach Belgien, wo er in kürzester Zeit einen neuen Zirkus aufbaute und in den folgenden Jahren erfolgreich betrieb. Am Tag des deutschen Überfalls auf Belgien im Mai 1940 nahm die belgische Polizei den Zirkusdirektor vorübergehend fest. Eine wütende Menge plünderte Geräte und Pferde, während die Zirkuslöwen erschossen wurden. Einzelne Zirkusmitarbeiter wurden als „feindliche Ausländer“ in das südfranzösische Internierungslager St. Cyprien deportiert.

Unter deutscher Besatzung tat sich Carl Straßburger mit dem Niederländer Frans Mikkenie zusammen. Dieser taktische Schritt zeigte Wirkung. Obwohl die deutschen Behörden bis zuletzt Zweifel am tatsächlichen „Mischlingsgrad“ Straßburgers hegten, genehmigten sie dem „neuen“ Zirkus „Mikkenie-Straßburger“ bis 1943 Tourneen durch Holland und Dänemark. In der Spätphase des Krieges kamen die Gastspielreisen zum Erliegen.

Nach dem Krieg erhielt Carl Straßburger die niederländische Staatsbürgerschaft, heiratete seine Cousine Regina und stieg zum erfolgreichsten Zirkusdirektor der Niederlande auf. 1953 ereilte ihn jedoch ein Unglück. Bei einem Gastspiel im schwedischen Trelleborg stürzte er, vermutlich infolge eines Herzinfarkts, in das Hafenbecken und ertrank. Zehn Jahre später wurde der Zirkus Straßburger aufgelöst.

Autor: Martin Holler

Quellen: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, R 55/20483 und R 9361-V/15666; Das Programm. Organ der Internationalen Artisten-Loge, Nr. 1689, 14.10.1934; Die Deutsche Artistik, Nr. 1, 8.9.1935; Nissing, Herbert St.: Strassburger. Geschichte eines jüdischen Circus. Dormagen 1993; Winkler, Gisela: Circus Busch. Geschichte einer Manege in Berlin. Berlin 1998; Schelfhout, Andreas: Zwart paard gezien bij Circus Strassburger. Maastricht 2008; Steiner, John M.; Freiherr von Cornberg, Jobst: Willkür in der Willkür. Befreiungen von den antisemitischen Nürnberger Gesetzen. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 143-187; Meyer, Beate: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. Hamburg 1999.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*