„Meine Familie hat alles verloren“. So fasst Jean Richard seine Geschichte zusammen. Geboren 1941 in Montreuil-Bellay, erinnert er sich nur an den Filmprojektor und die Kinofilme, die sein Vater als Besitzer eines ehemaligen Wanderkinos aus dem Krieg retten konnte. Und ein Foto ist ihm geblieben. Auf diesem ist seine Tante zu sehen, die Schwester seines Vaters, Rose Richard, eine gehlichte Winterstein (1935). Rose und ihr Ehemann Louis Winterstein besaen einen kleinen Wanderzirkus. Auch sie hatten alles verloren.
Die Familie von Jean Richard. Von oben links nach rechts: Tante Rose Winterstein, geborene Richard; Großmutter Ferchal Rosalie Richard; Onkel Louis Winterstein, Ehemann von Rose; Großvater Jacob Richard; Vater Gustave Richard mit Geige; Cousin George Winterstein, Roses Sohn; Tante Batistine Richard; Cousine Marie Winterstein, Rose‘s Tochter.
Rose wurde 1899 in Ste Colombe sur l’Hers (Aude) und Ehemann Louis im selben Jahr in Saint-Cyprien (Pyrénées-Orientales) geboren. Das Paar hat insgesamt 11 Kinder. Drei davon stammen aus Louis‘ erster Ehe. Der jüngste Spross Charles erblickte am 19. Oktober 1940 in Lugon das Licht der Welt. Zu diesem Zeitpunkt war die Familie bereits unter Hausarrest gestellt. Nichtsessenhaften war durch ein Dekret des französischen Innenministeriums vom 6. April 1939 das Reisen untersagt worden. Am 25. Oktober 1940 verlangten die deutschen Besatzungsbehörden die Zusammenführung und Internierung aller nichtsesshaften Personen. Mit Hilfe französischer Gendarmie wurde die Familie in Gewahrsam genommen und über ein Zwischenlager bei Mérignac Anfang Dezember 1940 in das Lager Poitiers gebracht.
Die Lagerbedingungen waren harsch, doch die Familie konnte in Poitiers bis Januar 1943 zusammenbleiben. Sie wurde erst am 13. Januar 1943 auseinandergerissen als 70 Männer im Alter von 17 bis 60 Jahren in ein Zwischenlager nach Compiègne gebracht und von dort nach Deutschland deportiert wurden, darunter Vater Louis und die ältesten Söhne Georges und Jean. Rose blieb mit den restlichen Kindern zurück.
Im Juni 1943 wurde ihr von einem Herrn Florès Campos eine feste Unterkunftsmöglichkeit ausserhalb des Lagers angeboten. Dieser wurde auf Rose aufmerksam, weil sein Sohn Pierre mit Frau Jeanne, eine Zirkusakrobatin, ebenfalls im Lager von Poitiers interniert war. Im Juni 1943 wurde Rose von Campos eine Bescheinigung über eine Unterkunftsmöglichkeit ausgestellt. Im Juli 1943 bat Rose mit Verweis auf dieses Schreiben die Lagerleitung um die Entlassung. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Rose und die bei ihr verbliebenen Kinder verliessen das Lager erst am 27. Juli 1945. Ihr Mann und die Söhne Jean und Georges waren nach ihrem Abstransport aus Poitiers in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald und Flöha gekommen. Alle drei überlebten und kehrten nach dem Krieg nach Frankreich zurück.
Autor: Laurence Prempain
Quellen: Archives départementales de la Vienne: 109 W 353; 109 W 313 Internés. Contrôle des effectifs, décembre 1940 à février 1944, registre de contrôle nominatif. Nomades; Archives départementales de la Gironde: 58 W 82 Nomades et Forains. Instructions 1940-1967; 58 W 84 Recensement des nomades 1940; 71 W Vrac 670 Rapport de Merville, Chef de Division sur la dissolution du Camp des Nomades; 104 W 3 Correspondance du 2 mars 1943 entre le chef de camp et le préfet de la Vienne. Liste des nomades partis travailler en Allemagne en date du 13 janvier 1943; Filhol Emmanuel: L’internement et la déportation de Tsiganes français: Mérignac-Poitiers-Sachsenhausen, 1940-1945, Revue d’histoire de la Shoah. Le monde juif, n° 170, septembre-décembre 2000, p. 136-182; Filhol Emmanuel: Le traitement administratif des Tsiganes dans les Landes (1895-1946), Annales du Midi, 2010, p. 407-429; GAIDA Peter: Le camp d’internement de Mérignac, http://www.petergaida.de/texte/M%E9rignac.pdf; Hubert Marie-Christine: 1940-1946, l’internement des Tsiganes en France, Hommes et; Lévy, Paul: Un camp de concentration français: Poitiers 1939-1945. Paris 1995; Lévy, Paul: Les Tsiganes de Poitiers: du stationnement à l’internement (décembre 1940-mai 1941), Etudes tsiganes, 1996, n° 1, p.47-52.
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