Der russisch-jüdische Showtänzer Senin Glazeroff (1882-1944) – Berufsverbot und Flucht nach Belgien

Senin Glazeroff wurde 1882 als Salomon Abramowitsch Glazer im russischen Woronesch geboren. Nach einer professionellen Tanzausbildung tourte er zunächst erfolgreich durch Russland. 1905 heiratete er die deutsche Tänzerin Elsa Grabowski, mit der er ein „original russisches“ Ensemble gründete. Unter wechselnden Namen erweiterte der Tanzmeister seine Truppe kontinuierlich. Besonders populär wurde die „Tscherkessen“-Show mit „Original Messer-Tanz“, welche er jahrelang in Europas Varietés und Zirkussen präsentierte. Im Ersten Weltkrieg gab sich die Glazeroff-Truppe als „polnisches“ Ensemble aus, während sie sich 1919 in ein „Ukrainisches National-Ballett“ verwandelte. In den 1920er Jahren erreichte Glazeroff den Zenit seines Erfolges und erwarb in Eggersdorf bei Berlin eine repräsentative Villa. Für sein hohes Ansehen spricht, dass er 1926 für drei Jahre in die Leitung der Internationalen Artisten-Loge gewählt wurde. In dieser Phase trat er als aktiver Tänzer zurück und verlegte sich ganz auf die Direktorenarbeit.

Werbeplakat für die Senin-Glazeroff-Truppe von 1913. (Theatre Collection – Special Collection, Universiteit van Amsterdam)

Der Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 brachte Glazeroff ein baldiges Berufsverbot. Der letzte überlieferte Auftritt seiner Truppe fand Mitte September 1933 in Leipzig statt. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Eines Tages drangen SA-Männer in Glazeroffs Villa ein, schlugen ihm ins Gesicht und zwangen ihn, die Straße vor der Villa zu kehren. Anschließend verwüsteten sie einen Teil der Inneneinrichtung und zerrissen wertvolle Tanzkostüme. Im September 1935 wurde die Villa samt Grundstück zwangsversteigert. Das Ehepaar Glazeroff musste in eine einfache Wohnung umziehen.

Nach dem Novemberpogrom 1938 entschloss sich Glazeroff zur Flucht nach Belgien. Im Raum Aachen überquerte er die grüne Grenze illegal zu Fuß und begab sich nach Antwerpen. Die belgische Fremdenpolizei gewährte dem nunmehr „vaterlandslosen“ Flüchtling ein befristetes Bleiberecht, nachdem dieser versichert hatte, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und indirekten Zuwendungen seiner in Deutschland verbliebenen Ehefrau bestreiten zu können. Unterstützt wurde er ferner vom Jüdischen Hilfskomitee und der Organisation EZRA. Glazeroff plante, eine neue Artistentruppe zusammenzustellen und zu einer Welttournee aufzubrechen. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 zerplatzten Glazeroffs Reisepläne jedoch. Er wurde in ein „Judenregister“ eingetragen und musste ab Mai 1942 den „Judenstern“ tragen. Als im Sommer 1942 Massenverhaftungen und Auschwitz-Deportationen einsetzten, war Glazeroff dank seiner nichtjüdischen Ehefrau nicht betroffen, doch blieb eine zermürbende Ungewissheit bestehen. Überdies plagten ihn gesundheitliche Probleme, wovon zwei längere Krankenhausaufenthalte Ende 1941 und im Herbst 1942 zeugen. Über sein weiteres Schicksal ist nur bekannt, dass er am 28. Februar 1944 im Alter von 62 Jahren in Antwerpen verstarb.

Senin und Elsa Glazeroff vor ihrer Villa in Eggersdorf bei Berlin (Privatarchiv Günter Knobloch, Petershagen)

Zu Senin Glazeroffs Ehren wurde 2012 vor seinem letzten Wohnsitz in Eggersdorf ein Stolperstein verlegt.

Autor: Martin Holler

Quellen: Knobloch, Günter: Tanz ins Vergessen. Das Leben des Artisten Senin Glazéroff. Petershagen 2013; Rataj, Gabriele: Ein „vergessener“ Eggersdorfer. In: Märkisches Echo, 6.10.2010; 25jähriges Bühnen-Jubiläum Senin Glazeroffs. In: Das Programm. Artistisches Fachblatt. Nr. 578, 4.5.1913; Meinen, Insa: Die Shoah in Belgien. Darmstadt 2009; Meinen, Insa und Meyer, Ahlrich: Verfolgt von Land zu Land. Jüdische Flüchtlinge in Westeuropa 1938-1944. Paderborn 2013; Telefonische Auskünfte von Günter Knobloch am 12.9.2018.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*